Debatte um Stornos bei Reisewarnung wird vor Gericht landen
Als erster großer Reiseveranstalter räumt Alltours Kunden nach der Hochstufung Spaniens und der Niederlande nicht mehr grundsätzlich ein Recht auf kostenlose Umbuchungen und Stornierungen ein. Die Entscheidung stellt eine lange geübte Praxis infrage; als wahrscheinlich gilt, dass sie die Justiz beschäftigen wird.
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Über viele Jahre war klar: Verhängt das Auswärtige Amt eine Reisewarnung über ein Land oder Teile davon, können Kunden kostenlos von gebuchten Reisen zurücktreten. Das wurde von der Reisebranche, mal murrend, mal bereitwillig akzeptiert. Meist sagten Veranstalter Reisen in die betroffenen Destinationen von sich aus ab, je nach Einschätzung der Gefahrenlage wurden Gäste auch vorzeitig zurückgeholt.
Doch Corona hat in die bis dato ehernen Gesetzmäßigkeiten der touristischen Praxis auch in Sachen Stornos Bewegung gebracht. Schließlich sind die pandemiebedingten Unsicherheiten den Kunden mittlerweile wohlbekannt. Zunehmend stellen Anbieter deshalb den Automatismus infrage, mit dem das wirtschaftliche Risiko neuer Gefahrenlagen vollständig auf der Anbieterseite abgeladen wird.
Verhuven prescht vor
Alltours-Chef Willi Verhuven hat sich daher zu einem gewagten Schritt entschlossen. Außerhalb der Aktion "flexibel buchen", die aktuell kostenfreie Stornierungen bis 21 Tage vor Abreise und kostenlose Umbuchungen bis 14 Tage vor der Abreise vorsieht, ist eine kostenlose Stornierung nicht mehr möglich, auch wenn das Zielgebiet zum Hochinzidenzgebiet wird und damit eine Reisewarnung seitens des Auswärtigen Amtes gilt.
Verhuven begründet den Schritt im Interview mit dem Fachblatt "FVW“ damit, dass die neue Einstufung von Spanien keine Überraschung mehr gewesen sei, nachdem die Corona-Infektionszahlen seit Wochen gestiegen seien. In vielen Medienberichten sei diese sogar schon für vergangene Woche erwartet worden. Die Kunden seien über die aktuellen Entwicklungen im Bilde und müssten darauf basierend ihre Entscheidungen treffen: „Wir müssen mit den zunehmenden Impfungen ein Stück weit zur Normalität zurückkehren“, so der Firmenchef.
Gibt es eine Informationspflicht für die Kunden?
Die Reisebranche, aber auch Verbraucherschützer werden den Vorstoß mit Interesse zur Kenntnis nehmen. Sollen die Kunden künftig einen Teil des Risikos schultern, wenn eine Destination eine Reisewarnung erhält? Gibt es auf Seiten der Kunden eine Informationspflicht? Und spielt es für den Anspruch auf eine kostenlose Stornierung eine Rolle, ob zum Zeitpunkt der Reisebuchung eine Reisewarnung für das entsprechende Urlaubsziel bestand oder nicht?
Das Europäische Verbraucherzentrum Deutschland (EVZ) erklärt dazu, inwieweit Virusvarianten und Einreisebeschränkungen im zweiten Jahr der Pandemie noch als außergewöhnliche Umstände anzusehen sind, sei „noch nicht höchstrichterlich entschieden“. Wenn eine Pauschalreise gebucht wurde, könne die Reise in der Regel kostenlos storniert werden, sofern "außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände am Bestimmungsort vorliegen, die die Reise erschweren oder unmöglich machen“ (Richtlinie 2015/2302). Allerdings hätten „Verbraucher, anders als im vergangenem Jahr, schon bei Reisebuchung von der Corona-Pandemie und den sich teilweise sehr schnell ändernden Gegebenheiten in den einzelnen Ländern“ gewusst.
Quarantänepflicht als Erschwernis
Nach Ansicht des EVZ liegt in der Quarantänepflicht allein kein Umstand vor, der die Reise erschwert oder unmöglich macht, weil die Quarantäne erst zu Hause anstehe. Es gebe aber auch Juristen, die in einer unabwendbaren Quarantäne eine Störung der Geschäftsgrundlage sähen, räumt die von der EU-Kommission und dem Bundesjustizministerium unterstützte „erste Anlaufstelle für alle deutschen Verbraucher bei grenzüberschreitenden Fragen“ ein.
Reiserechtler Kay Rodegra erklärt auf Anfrage von Reise vor9: "Nach meiner Meinung ist ein kostenfreier Rücktritt von der Pauschalreise bei einer Höherstufung zum Hochinzidenzgebiet und einer damit verbundenen Reisewarnung möglich.“ Doch er weiß auch, dass nicht alle seine Einschätzung teilen: "Ich befürchte, einige Reiseveranstalter werden das anders sehen und die Gerichte zur Klärung bemühen", teilt er mit.
Reiserechtler sehen gute Chancen für die Kunden
Ähnlich lässt sich der Reiserechtler Paul Degott von der Nachrichtenagentur "DPA" zitieren. Sich als Reiseveranstalter auf die bekannte Gefahr durch Corona zu berufen, reicht seiner Ansicht nach nicht aus. "Pauschalurlauber haben eher gute Chancen, kostenlos von ihrer Reise zurücktreten zu können", vermutet er.
Der Jurist Ernst Führich vertritt hingegen die Auffassung, dass "ein Reisender dann nicht schutzbedürftig ist, wenn er bei Vertragsschluss wissentlich ein bereits vom Auswärtigen Amt benanntes Risikogebiet bucht". Werde dieses Ziel dann später zum Hochinzidenzgebiet hochgestuft, liege kein unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand vor. Die Möglichkeit einer Hochstufung sei für diese Kunden vorhersehbar und kein plötzliches, unvermeidbares Ereignis. Insoweit finde er es "ausgewogen, dass diese Reisenden wie bei Alltours die vereinbarte Stornoentschädigung zu zahlen haben und dass diese Praxis vor Gerichten große Chancen auf Bestand haben wird". Allerdings gelte auch in diesem Fall: "zwei Juristen drei Meinungen", fügt er hinzu
Macht Verhuven nicht noch einen Rückzieher, was kaum einer, der ihn kennt, für wahrscheinlich hält, wird die Frage in nächster Zeit die Justiz beschäftigen. Das ist im Prinzip gut, weil die Frage, ob es im Zuge der Corona-Pandemie einer Neubewertung der Stornierungsbedingungen für Ziele mit Reisewarnung bedarf, geklärt werden muss. Andererseits ziehen sich juristische Tauziehen um solche Themen in der Regel eine Weile hin – erst recht, wenn mehrere Instanzen die Situation bewerten müssen. So lange werden Verbraucher und Veranstalter mit einer ungeklärten Rechtslage noch leben müssen.
Christian Schmicke