Tägliche News für die Travel Industry

2. September 2024 | 12:40 Uhr
Teilen
Mailen

Wie Züge pünktlicher werden können

Der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel sitzt viel im Zug, aber auch im Aufsichtsrat der DB Infra-Go AG. Der Bahnexperte fordert unter anderem kürzere ICE-Linien, mehr Ersatzzüge, einen anderen Umgang mit verspäteten Zügen und längere Regionalzüge. Im Gespräch erläutert er, wie seine Vorschläge konkret aussehen. Auch die Bahn äußert sich dazu.

ICE Foto Deutsche Bahn

Die Pünktlichkeitsquote der Bahn lag zuletzt gerade mal bei 63 Prozent

Unter den mehr als 700 Abgeordneten im Deutschen Bundestag ist vermutlich niemand häufiger mit dem Zug unterwegs als Matthias Gastel. Der Verkehrsexperte der Grünen aus Filderstadt führt seit mehr als zehn Jahren online ein öffentliches Bahn-Tagebuch zu seinen Erlebnissen im Fernverkehr der Bahn, den er nicht nur zwischen Berlin und seinem Wahlkreis Nürtingen nutzt. Häufiges Thema seiner Einträge: Betriebsprobleme und Unzuverlässigkeit der ICE-Flotte. Im ersten Halbjahr fuhren nur noch 62,7 Prozent der Züge mit weniger als sechs Minuten Verspätung, im Juni war fast jede zweite Fahrt teils massiv verspätet.

Damit ist klar: DB-Chef Richard Lutz wird in diesem Jahr erneut das schon sehr bescheidene Ziel von 70 Prozent Pünktlichkeit deutlich verfehlen. Die schwache Leistung ärgert Gastel, der gleich mehrfach damit konfrontiert wird – als häufig betroffener Bahnkunde, als Verkehrspolitiker der Regierungskoalition und als Aufsichtsrat der fürs marode Schienennetz zuständigen neuen DB Infra-Go AG. Der umtriebige Schwabe fordert, dass der Staatskonzern die Probleme endlich entschiedener anpackt: "Wir brauchen mehr Kreativität und Konsequenz bei der Verbesserung der Pünktlichkeit im Bahnverkehr. Die Geduld der Fahrgäste wurde schon viel zu lange überstrapaziert."

"Kein willkürliches Herabsetzen der Geschwindigkeit"

Noch mehr als über manche Zugverspätung ärgert sich Gastel über krude öffentliche Debatten, wie die Bahn wieder pünktlicher werden könnte. Zum Beispiel über die Idee von EVG-Chef und DB-Aufsichtsrat Martin Burkert, die ICE-Flotte nur noch Tempo 200 fahren zu lassen, um den Verkehr flüssiger zu machen. "Vorschläge wie das willkürliche und pauschale Herabsetzen von Geschwindigkeiten in Fahrplänen gehen an den Ursachen der Unpünktlichkeit vollkommen vorbei", kritisiert der Politiker.   

Was hält der Staatskonzern vom Tempolimit 200 für die ICE-Flotte? Würde das Züge pünktlicher machen? Nein, im Gegenteil, betont ein Sprecher: "Eine Reduzierung der Geschwindigkeit von ICE-Zügen im aktuellen Fahrplan würde sogar zu einer geringeren Pünktlichkeit führen." Denn in Deutschland seien viele ICE-Strecken wie Hannover – Würzburg, Frankfurt – Köln oder Erfurt – Nürnberg speziell für Geschwindigkeiten von 200 Stundenkilometern und mehr (aus-)gebaut worden, damit der klimafreundliche ICE auf längeren Strecken zwischen den Metropolen gegenüber Flugzeug und PKW attraktive Reisezeiten biete.

"Ein Tempolimit für ICE würde die umweltfreundliche Reise mit unseren Zügen somit unattraktiver machen", lautet das Fazit des Konzerns. Statt solcher Vorschläge brauche es vielmehr eine ausreichende und dauerhafte Finanzierung des Infrastrukturausbaus.

Generalsanierung wird dauern

Mit allen Experten ist sich Matthias Gastel einig, dass die Pünktlichkeit im deutschen Bahnverkehr erst wieder deutlich besser werden kann, wenn die Probleme beim über Jahrzehnte vernachlässigten Schienennetz gelöst sind. Die begonnene Generalsanierung von 41 Korridoren wird aber mindestens bis 2030 dauern. "Allerdings gibt es neben dem überwiegend schlechten Zustand der Infrastruktur mit zahlreichen Störungen auch andere Ursachen für die schlechte Pünktlichkeit", betont Gastel. Einige davon könnten zeitnah gelöst werden: „Der Fokus muss darauf liegen, die Ausbreitung dieser Störungen innerhalb des Netzes zu isolieren, statt eine Übertragung in große Netzteile zuzulassen.“ Gastel hat sieben Vorschläge, wie die ICE-Flotte zumindest etwas pünktlich werden könnte. Nicht alle hält der DB-Konzern für sinnvoll, wie Nachfragen unserer Redaktion zeigen.

ICE-Linien verkürzen

"Aktuell verlängert die DB die Länge ihrer Fernverkehrslinien immer weiter", kritisiert der Experte. So würden Verspätungen durch ganz Deutschland geschleppt. Ursache seien auch Vorgaben bei der Trassenvergabe. Die Linien sollten verkürzt, Anpassungen beim Moderne-Schiene-Gesetz vorgenommen werden, solange sich die Pünktlichkeit auf dem Tiefpunkt befinde. 

Die DB lehnt das ab: Die langen Laufwege zu unterbrechen sei "nicht sinnvoll", sagt ein Sprecher. Viele Fahrgäste bevorzugten attraktive Direktverbindungen, die Verkürzung hätte längere Fahrzeiten, zusätzliche Umstiege und die abschnittsweise Einstellung von Angeboten zur Folge. Für kürzere Laufwege brauche man zudem mehr Personal und Fahrzeuge, beides ist ohnehin knapp. Wenn noch mehr Linien in großen Städten beginnen oder enden, werde überdies die Infrastruktur in den Bahnknoten noch mehr überlastet durch zusätzliche Bereitstellungsfahrten sowie Bahnsteigbelegungen.

Mehr Ersatzzüge und Sanktionen

Ein Problem sieht Gastel darin, dass Züge schon verspätet starten: "Bahnunternehmen insbesondere im Fernverkehr müssen dafür konsequenter sanktioniert werden." Vorbild sei die Schweiz. "Sollten Züge außerhalb der geplanten Fahrplanlage fahren, abgesehen von einigen wenigen Minuten Verspätung, wird der Zug ausfallen und mit einem Ersatzzug weitergeführt", so sein Vorschlag. Dadurch werde der übrige Zugverkehr weniger beeinträchtigt.

Die DB hält das Problem für weniger bedeutsam. 2023 sei nur bei dreieinhalb Prozent der Fahrten die "verspätete Bereitstellung" als Grund genannt worden, die Auswirkung auf die Gesamtpünktlichkeit im Fernverkehr sei gering. Die meisten Fernzüge würden in hoch ausgelasteten Knoten bereitgestellt, entsprechend wirke sich die knappe und störanfällige Infrastruktur auch dabei aus. An wichtigen Knotenbahnhöfen würden Ersatzzüge bereitgehalten, um kurzfristige Fahrzeugausfälle oder verspätete Bereitstellungen zu kompensieren.

Kein Vorrang für verspätete Züge

Wenn schon verspätet bereitgestellte Züge fahren dürfen, sollten sie keinen Vorrang erhalten, um die Verspätung aufzuholen, fordert Gastel: "Das erhöht zwar die Verspätung einzelner Züge, reduziert aber die Auswirkungen auf das Gesamtsystem." Denn Dominoeffekte würden vermieden. Ein DB-Sprecher erklärt dazu knapp, das würde "bereits jeweils im konkreten Einzelfall im Interesse der Pünktlichkeits-Stabilisierung so gehandhabt".

Weniger Züge in großen Bahnhöfen

"Züge sollten nicht länger als unbedingt nötig in großen Bahnhöfe abgestellt werden, denn so gehen wertvolle Gleiskapazitäten verloren", schlägt Gastel vor. Inwieweit wird das bei der DB umgesetzt? Abstellungen in großen Stationen gebe es "für gewöhnlich in minimalem Umfang – zur Schonung wertvoller Gleiskapazität", erklärt der Konzern.

Längere Regionalzüge statt Zusatzverkehr

Besonders in den großen Bahnknoten rangeln Fern- und Regionalzüge um knappe Trassen. Die Taktung im Nahverkehr sollte daher erst weiter erhöht werden, wenn entsprechende Kapazität vorhanden ist, fordert der Bahnexperte. Bei fehlenden Kapazitäten sollten erst Alternativen wie längere Regionalzüge umgesetzt werden. „Insbesondere, wenn sich Bundesländer dringend benötigen Infrastrukturprojekten verweigern, können sie nicht mehr erwarten, dass sie trotzdem das Angebot im Nahverkehr auf Kosten der Pünktlichkeit erhöhen können“, betont Gastel.

Hält die DB den Vorschlag für zielführend? Im Regionalverkehr seien Kapazität und Taktung der Fahrzeuge in den Verkehrsverträgen der Aufgabenträger festgelegt, weist der Konzern die Verantwortung von sich. DB Regio bewerbe sich auf Ausschreibungen für diese Verkehrsverträge und stehe „im intensiven Austausch mit den jeweiligen Aufgabenträgern, um Betriebskonzepte zu optimieren“.

Engpässe mehr umfahren

Hauptbahnhöfe in Metropolen wie Köln und Frankfurt sind stark überlastet, was zu vielen Verspätungen führt. Solche Engpässe sollten vorläufig mehr umfahren werden, bis die Infrastrukturmaßnahmen fertiggestellt sind, schlägt Gastel vor: "Es gibt jeweils andere Haltemöglichkeiten in den Städten wie Frankfurt Süd oder Köln Deutz." So würden Verspätungsquellen entlastet.

"Wo dies sinnvoll ist, setzt DB Fernverkehr dies bereits um", erklärt der Konzern dazu. So seien zuletzt einzelne Zugverbindungen nicht mehr zum überlasteten Frankfurter Hauptbahnhof geführt worden, sondern hielten ersatzweise in Frankfurt Süd. Ähnliches werde teils in anderen Knoten wie Köln oder Hamburg praktiziert. Man wäge das im Interesse der Fahrgäste aber sorgfältig ab, da der Halt abseits der Hauptbahnhöfe Nachteile bringe wie zusätzliche Umstiege und längere Reisezeiten. Überdies böten alternative Bahnhöfe "oftmals eine deutlich geringere Aufenthaltsqualität und Ausstattung (Aufenthaltsräume, Gastronomie, Lounge)", auch die Barrierefreiheit sei mitunter deutlich schlechter.

Infrastruktur rasch robuster machen

Auch die deutsche Bürokratie hat lange die zügige Beseitigung kleinerer Engpässe im Schienennetz verhindert. Mit der Novellierung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes könnten kleinere und mittlere Maßnahmen nun rascher realisiert werden, betont Gastel. Die Verwaltungsvorschriften müsse das Verkehrsministerium festlegen.

Die DB teilt dazu mit, man sei "bereits mitten in der Umsetzung". Bis 2030 sollen bundesweit 355 sogenannte kleine und mittlere Maßnahmen durchgeführt werden, die kurzfristig Pünktlichkeit und Stabilität erhöhen, darunter 36 Überholgleise, 140 Überleitstellen und 41 Maßnahmen zur Verkürzung von Blockabständen.  

Thomas Wüpper

Newsletter kostenlos bestellen

Ja, ich möchte den Newsletter täglich lesen. Ich erhalte ihn kostenfrei und kann der Bestellung jederzeit formlos widersprechen. Meine E-Mail-Adresse wird ausschließlich zum Versand des Newsletters und zur Erfolgsmessung genutzt und nicht an Dritte weitergegeben. Damit bin ich einverstanden und akzeptiere die Datenschutzerklärung.

Anzeige Reise vor9