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9. September 2022 | 15:57 Uhr
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Mailen

Wenn der Bahn-Konzern hundert Briefe schickt

Bei Zugverspätungen gibt es Geld zurück. Die Anträge können betroffene Fahrgäste inzwischen auch digital stellen – doch Millionen von Bescheiden versendet das Staatsunternehmen weiterhin zum Ärger von Kunden nur per Post.

Briefpost

Wer bei der Bahn sein Geld zurück will, erhält einen Bescheid per Post

Es ist ein neuer Tiefpunkt: Im Sommer schaffte die Deutsche Bahn AG nicht einmal mehr eine Pünktlichkeitsquote von 60 Prozent. Zwei von fünf Fernzügen kamen im Juli mit Verspätungen von mehr als sechs Minuten bis zu mehreren Stunden an. Kleiner Trost für betroffene Fahrgäste: Auf Antrag muss nach EU-Recht ab 60 Minuten Verspätung ein Viertel des Fahrpreises erstattet werden und ab 120 Minuten die Hälfte – und das lässt sich seit vorigem Jahr endlich auch bequem und schnell online erledigen, was schon gut jeder zweite Kunde tut.

Für Henning Möller bleibt das Entschädigungsverfahren des Staatskonzern dennoch weiter ein Ärgernis. Der Vielfahrer mit Bahncard 100 bekommt im Schnitt fast alle drei Tage Post von der DB. Kunden mit der BC 100, die für die 2. Klasse mehr als 4.000 Euro pro Jahr kostet, erhalten als Sonderregelung bei Verspätungen pauschal zehn Euro pro Fahrt bis zur Höchstgrenze von aktuell etwas mehr als 1.000 Euro. Das Geld kommt zwar direkt aufs Bankkonto – doch der Bescheid dazu grundsätzlich per Post.

Zeitpunkt für digitale Antworten ungewiss

Da die Zugverbindungen des Bankmanagers häufig gestört sind, trudeln übers Jahr allein deshalb mehr als hundert DB-Briefe bei ihm ein. Hinzu kommen zahlreiche Zwischenbescheide, in denen das DB Servicecenter Fahrgastrechte immer mal wieder wegen Bearbeitungsrückständen um Geduld bitte, ärgert sich der Stammkunde über das teure und wenig nachhaltige Verfahren des hochverschuldeten Staatskonzerns und die unnötigen Kosten für Porto, Papier, Umschläge und Druck.

Seit Jahren kritisieren auch andere DB-Stammkunden diese Geldverschwendung. Doch bis heute kann das Unternehmen mit seinen weltweit 337.000 Mitarbeitern keinen Termin nennen, bis wann der Postversand zumindest an Kunden, die es wünschen, durch Mails ersetzt wird. "Wir arbeiten bereits an einer digitalen Beantwortung der Fahrgastrechtsanträge, die digital eingereicht werden", sagt eine Sprecherin. Man könne aber "derzeit noch nicht sagen, wann wir auf eine digitale Antwort umstellen können und in welcher Form unsere Kunden diese dann erhalten".

6.000 Briefe pro Werktag

Was bedeutet, dass das Servicecenter Fahrgastrechte weiterhin jeden Werktag im Schnitt mehr als 6.000 Briefe verschickt. Denn allein 2021 wurde dort die riesige Zahl von fast 1,6 Millionen Kundenanträgen auf Entschädigung bearbeitet, rund 400.000 mehr als im Jahr zuvor. Bis auf einen geringen Prozentsatz betreffen die Fälle zumeist die ICE- und Intercity-Flotte der DB AG, der kleine Rest geht auf das Konto von 40 Regionalbahnen, die sich dem Verfahren angeschlossen haben.

Die DB-Spitze um Vorstandschef Richard Lutz propagiert zwar seit Jahren ihre Digitalstrategie. Doch beim wichtigen Kundenservice gibt es bedenkliche Defizite. So dauerte es mehr als ein Jahrzehnt, bis die Entschädigungsanträge endlich auch online gestellt werden konnten. Erst seit Juni 2021 ist das in wenigen Minuten über bahn.de oder den DB Navigator am Smartphone möglich, wenn man ein Kundenkonto eingerichtet hat. Damit entfällt der lästige Papierkram, sofern auch das Ticket online gebucht wurde.

Geld kommt schneller als die Briefpost

Umso unverständlicher erscheint, dass zumindest dieser große und beständig wachsende Teil der schon registrierten Bahnkunden noch immer keine schnelle und für den Konzern kostengünstigere Mail-Antwort erhält. Zumal der DB Fernverkehr selbst in seinem Geschäftsbericht betont, bereits die Hälfte der digital eingereichten Anträge werde "innerhalb von zwei Tagen nach Eingang vollautomatisiert abschließend bearbeitet". Nicht selten, berichten Kunden, ist sogar das Geld schon auf dem Konto, wenn der Bescheid später per Briefpost eintrudelt.

Peter Cornelius vom Fahrgastverband Pro Bahn in Berlin hofft, dass die neue Technik-Vorstandsfrau im DB-Konzern, Daniela Gerd tom Markotten, das Thema entschlossener anpackt. Bei einer Gesprächsrunde habe er den Handlungsbedarf und das Unverständnis vieler Kunden verdeutlicht, betont der Experte für Fahrgastrechte.

Hoher Anteil anerkannter Entschädigungsanträge

Dabei gibt es auch positive Aspekte: Immerhin neun von zehn Entschädigungsanträgen werden laut DB Fernverkehr positiv beschieden, die Quote sank demnach voriges Jahr nur leicht von 92 auf 90 Prozent. Allein 2021 zahlte der Konzern 38,2 Millionen an Kunden im Fern- und Nahverkehr. Es lohnt sich also, ein paar Minuten zu investieren.  

Allerdings ist auch immer wieder Geduld gefragt, wenn wie zuletzt besonders viele Züge zu spät gekommen sind und deshalb das Servicezentrum mit Anträgen geflutet wird. So sorgten schon voriges Jahr Engpässe und Baustellen im lange vernachlässigten Schienennetz, die Flutkatastrophe, Stürme und Streiks dafür, dass mit den Entschädigungsanträgen auch die Bearbeitungszeiten in die Höhe schnellten. Was wiederum dazu führte, dass der Index für die Zufriedenheit der Kunden mit dem Servicecenter Fahrgastrechte von 79 auf noch 74 Prozent gesunken ist.

Hoher Aufwand

Kein Wunder, denn Vielfahrer wie Möller ärgern sich auch darüber, dass sie bei jedem Online-Antrag ihre vielstelligen Bankkonto-Nummern eingeben müssen, obwohl die Daten längst im DB-Kundenkonto hinterlegt sind. Und regelmäßig nervt die unnötige DB-Post: „Es gab schon Tage, da lagen fünf bis zehn Abrechnungen im Briefkasten.“ Immerhin, berichtet der Pfälzer, sei das Geld in der Regel schon einen Tag vorher auf dem Konto. Deshalb macht der DB-Stammkunde meist kurzen Prozess mit der umweltschädlichen Papierflut: “Wenn die Anzahl der Umschläge zu den Gutschriften passt, landen die Briefe ungeöffnet in der Altpapier-Tonne.“

Thomas Wüpper

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