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21. März 2023 | 21:44 Uhr
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"Waldschutz ist kein sinnvoller Weg zur CO2-Kompensation"

"Bäume zu pflanzen ist immer gut, aber es ist kein sinnvoller Weg zur CO2-Kompensation", sagt Studiosus-Chef Peter-Mario Kubsch mit Blick auf die ins Gerede geratenen Projekte des Zertifizieres Verra. Sein Unternehmen gehe einen anderen Weg. Ein Gespräch über Chancen und Herausforderungen nachhaltigen Reisens.

Kubsch Peter-Mario

Peter-Mario Kubsch hält nichts von Waldschutzprojekten zum CO2-Ausgleich

Eine Recherche der Zeit, des Guardian und der investigativen Plattform Source Material legt nahe, dass viele CO2-Zertifikate, die unter Aufsicht des Zertifizierers Verra verkauft wurden, deutlich weniger Kohlendioxid einsparen als angegeben. Dabei geht es vor allem um Waldschutzprojekte. Wie stehen Sie zu dem Thema?

Peter-Mario Kubsch: Es ist immer gut, Bäume zu pflanzen oder zu schützen. Aber Aufforstungs- oder Waldschutzprojekte eignen sich nicht, um den CO2-Ausstoß von Reisen zu kompensieren. Ein Baum bindet zwar für die Zeit seines Lebens CO2, danach schickt er es aber wieder in die Atmosphäre. Außerdem ist oft unklar, was ohne die entsprechenden Maßnahmen passiert wäre.

Warum sind Waldschutzprojekte zur CO2-Kompensation dann so populär?

Weil sie leicht zu vermitteln sind. Unter Aufforstung und Waldschutz kann sich jeder etwas vorstellen. Das ist bei vielen anderen Projekten schwieriger.

Wie kompensiert Studiosus?

Das Geld für die CO2-Kompensation unserer Reisen fließt in den Bau von Biogasanlagen in Nepal. Dabei arbeiten wir mit der Klimaschutzorganisation Myclimate zusammen, die das Projekt bereits seit Jahren begleitet. Das Projekt wurde nach den Gütekriterien des Gold-Standards überprüft und erfüllt dessen höchste Anforderungen, das heißt es entsteht zusätzlich auch noch sozialer Nutzen vor Ort.

Einige Touristiker fordern eine verbindliche CO2-Abgabe für das Fliegen, deren Einnahmen dann in die Entwicklung umweltfreundlicher Antriebe fließen sollen. Wie stehen Sie dazu?

Erfahrungsgemäß dauert es zu lange, bis solche Projekte auf den Weg gebracht sind, wenn sie von staatlicher Seite oder durch die EU eingeleitet werden. Der schnellere und wahrscheinlich auch kostengünstigere Weg wäre es, wenn die Industrie das Heft des Handelns selbst in die Hand nimmt und dafür sorgt, dass durch den Klimaschutz unsere Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Dies der individuellen Zahlungsbereitschaft der Kunden zu überlassen, funktioniert nicht. Die Verantwortung tragen wir schon selbst.

Hat das Umwelt- und Klimabewusstsein Ihrer Kunden denn nicht zugenommen?

Unsere Gäste akzeptieren ja den höheren Reisepreis für die Kompensation; insofern hat sich schon etwas bewegt. Außerdem reflektieren viele, ob wirklich jede Flugreise notwendig ist und ob nicht wenigere, dafür aber längere Reisen sinnvoller sind. Das haben kürzlich auch die Gespräche mit unserem Stammkundenbeirat gezeigt, und das sind wirklich allesamt Vielreisende. Manche trauen sich kaum noch, ihren Enkeln zu erzählen, dass sie demnächst schon wieder verreisen. Beim Thema Flugscham bewegt sich definitiv einiges.

Als wir im vergangenen Oktober gesprochen haben, trauten Sie sich noch keine Geschäftsprognose für 2023 zu; jetzt sind wir ein halbes Jahr weiter. Wie beurteilen Sie die Aussichten?

Wir rechnen damit, dass wir in diesem Jahr mit 70 Prozent der Kunden der Vor-Corona-Zeit etwa 80 Prozent der Umsätze erreichen werden. Der höhere Wert beim Umsatz ist vor allem auf gestiegene Preise zurückzuführen.

Große Veranstalter, die ihr Geld im Wesentlichen mit Badeurlaub verdienen, wollen in diesem Jahr die Zahlen von 2019 schon übertreffen. Warum kommt das Geschäft bei Studiosus langsamer zurück?

Das dürfte auf eine Kombination von Gründen zurückzuführen sein. Auch die Anbieter von Badereisen erzielen ihre höheren Umsätze ja derzeit noch mit weniger Reisenden. Hinzu kommt, dass eine Reihe von Destinationen, die früher eine gewissen Bedeutung hatten, im Moment komplett wegfallen: Myanmar, Russland und Iran, um nur einige zu nennen. Auch Peru und damit diverse Südamerikareisen bieten wir derzeit nicht an, weil für das Land noch eine Reisewarnung gilt. Was die Rückkehr der China-Reisen betrifft, bin ich ebenfalls skeptisch. Und auch Länder wie Südafrika und die Länder Osteuropas tun sich bei der Nachfrage noch schwer. Inwieweit Faktoren wie das Flugchaos im vergangenen Sommer eine Rolle spielen, können wir nur ahnen. Jedenfalls bucht ein Teil unserer Kunden weiterhin sehr kurzfristig, wenngleich sich der Trend zu späten Buchungen insgesamt abschwächt.

Welche Rolle spielen die gestiegenen Preise für Reisen, aber auch für die übrige Lebenshaltung für die Nachfrage?

Das ist offenbar ganz unterschiedlich. Die geringere Zahl an Buchungen könnte darauf hinweisen, dass ein Teil unserer Gäste erst einmal die nächste Energiekostenrechnung abwartet. Andererseits laufen Ziele wie Nordamerika oder Australien und Neuseeland augenblicklich sehr gut, obwohl die Reisekosten dort deutlich stärker gestiegen sind als im Schnitt. Wir stellen auch keinen Trend zu Reisen mit weniger Komfort fest und die durchschnittliche Reisedauer ist leicht gestiegen. Es gibt also kein einheitliches Muster, wie die Kunden reagieren.

Die Problemfälle hatten wir gerade ­– welche Länder tun sich mit ihrem Comeback denn leichter?

Für die klassischen Ziele wie Italien oder Spanien, aber auch Frankreich und mit Einschränkungen die Türkei ist die Nachfrage vollständig zurück; auch nordafrikanische Länder wie Ägypten und Marokko laufen wieder sehr gut. Island und Nordeuropa waren schon während der Pandemie gut gebucht und dieser Trend hält an.

Kann Studiosus mit 80 Prozent des Umsatzes von 2019 – damals erreichten Sie 276 Millionen Euro – profitabel arbeiten?

Ja. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir 2023 mit rund 220 Millionen Euro Umsatz operativ in die schwarzen Zahlen zurückkehren.

Können Kunden und Reisebüros für das nächste Jahr mit Neuerungen rechnen?

Natürlich. Wir gehen davon aus, dass wir 2024 bei den Gästezahlen eine weitere Steigerung sehen und rund 85 Prozent von 2019 erreichen. Deshalb bauen wir das Angebot dort aus, wo wir die stärkste Erholung erwarten; etwa in Asien oder in Südamerika. Außerdem überarbeiten wir unser Angebot an Städtereisen und passen es den veränderten Erwartungen unserer Kunden, aber auch der Destinationen an. Wir sind in den Städten künftig verstärkt in kleineren Gruppen unterwegs – auch weil viele Städteziele deutlich zu verstehen geben, dass sie keine großen Reisegruppen mehr wollen. Mit dem Ende der Reisebeschränkungen ist das Thema Overtourism zurück auf der Agenda.

Das Gespräch führte Christian Schmicke

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