Nachtzug-Angebot wächst kräftig
Bis 2026 wird sich das Angebot an Nachtzügen mehr als verdoppeln. Von den schicken neuen Siemens-Nightjets der ÖBB werden auch deutsche Bahnreisende profitieren. Berlin bekommt schon bald neue Linien nach Paris und Brüssel und wird zum wichtigen Drehkreuz.
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Zugreisen in der Nacht werden komfortabler. Wer umweltschonend mit der Bahn unterwegs sein möchte, kann sich auf die hochmodernen Nachtzüge freuen, die im Sommer für Österreichs Staatsbahn ÖBB starten und auch von München nach Rom fahren werden. Im Werk von Siemens Mobility Austria in Wien-Simmering zeigt Werkschef Michael Leisgang stolz die schicken dunkelblau lackierten Nightjets, die mehr Komfort und Privatsphäre bieten. "Wir haben die Züge gemeinsam mit der ÖBB auf Basis der bisherigen Erfahrungen mit Nachtzügen entwickelt", sagt der 40-jährige Wirtschaftsingenieur aus Franken, der die beeindruckende, in weiten Teilen automatisierte Zugproduktion mit rund 800 Beschäftigten leitet.
Die gute Nachricht: Trotz der Verzögerungen wegen Corona und des Ukraine-Krieges sind inzwischen neun Nightjets bereits weitgehend fertig. Vereinbart ist, dass bis Ende 2025 alle 33 bestellten Züge fertig sind. "Damit wird sich unsere Kapazität fast verdoppeln", berichtet ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder in der Konzernzentrale, die direkt am hochmodernen Wiener Hauptbahnhof steht. Die Züge wurden 2018 bestellt, zuvor gab es lange keine Neuanschaffungen für den Nachtverkehr.
Mit Tempo 230 durch die Nacht
Bahnreisende in Deutschland können sich ebenfalls freuen. Denn auch von München sollen die neuen Nightjets mit bis zu Tempo 230 maximal 254 Fahrgäste über Nacht nach Rom bringen. "Das ist bereits bisher eine unserer bestgebuchten Verbindungen", sagt Rieder. "Wir könnten viel mehr Tickets verkaufen, die Schlaf- und Liegewagen sind in den Ferien oft Monate vorher ausgebucht." Ähnliches gilt für das gesamte Nachtzuggeschäft, das, befördert von Klimadebatten und Flugscham, eine Renaissance erlebt. Dafür investiert nicht nur die ÖBB kräftig in neue Fahrzeuge.
Norwegens Staatsbahn VY hat eine moderne neue Modellreihe beim Schweizer Hersteller Stadler geordert, Schwedens Staatsbahn SJ einen Großauftrag für fast 900 Millionen Euro ausgeschrieben. Zudem wurde deren Nachtzug von Stockholm nach Hamburg bis Berlin verlängert. In Italien sind neue Nachtzüge der Staatsbahn Trenitalia zwischen Turin, Mailand, Florenz, Rom, Neapel und Palermo unterwegs und Frankreichs Staatsbahn SNCF hat Linien wie von Paris nach Cannes oder Toulouse wieder im Angebot.
DB hält sich weitgehend raus
In Deutschland dagegen scheute die bundeseigene Deutsche Bahn AG solche Anstrengungen und beförderte vor sechs Jahren mit Duldung der damaligen Regierung die letzten Nacht-und Autozüge aufs Abstellgleis oder übergab sie der ÖBB. Immerhin kooperiert der Konzern nach Druck aus der Politik mit den Österreichern, verkauft deren Tickets, lässt eigene Sitzwagen im Nachtzug mitfahren und zahlt dafür einen Ausgleich. "Das hilft mit, wirtschaftlich zu operieren", sagt Rieder. Denn die Hotels auf Rädern sind ein schwieriges und komplexes Geschäft mit hohen Investitions- und Betriebskosten.
Bald von Berlin nach Paris und Brüssel
Dennoch gibt es Neueinsteiger wie das Start-up European Sleeper, das Ende Mai seinen ersten Nachtzug von Brüssel und Amsterdam nach Berlin startet. Damit wird die deutsche Hauptstadt zunehmend zur Drehscheibe, denn von der Spree kann man über Nacht schon jetzt nach Skandinavien mit SJ und Snälltaget reisen oder nach Budapest mit Euronight. Die ÖBB will ihre bisher zwei Verbindungen ab Berlin auf vier verdoppeln. Sowohl Paris als auch Brüssel sollen schon in den nächsten Monaten über Nacht erreichbar sein, allerdings mit Zügen der Bestandsflotte, die frei werden, wenn demnächst die ersten neuen Nightjets von Siemens Mobility kommen.
Denn mit den ersten neuen Nightjets von Siemens wird es endlich mehr Kapazität geben, mehr Wagen auf bestehenden Strecken zu fahren und neue Verbindungen anzubieten, erläutert Rieder. Allerdings brauchen Züge für jedes Land, in dem sie unterwegs sind, eigene Lokführer mit Streckenkenntnis und eine gesonderte technische Zulassung. "Die neuen Modelle sind vorerst für Österreich, Deutschland und Italien zugelassen und werden zuerst dort fahren", betont Rieder. Zumal in den Tunneln gen Italien künftig strengere Sicherheitsvorschriften gelten, die ältere Modelle nur bedingt erfüllen.
Moderne Technik und mehr Privatsphäre
Siemens hat die Züge auf Basis seiner bewährten Viaggio-Plattform konzipiert. Die siebenteiligen Nightjets haben je zwei Sitz- und Schlafwagen sowie drei Liegewagen. In allen Wagen soll es W-Lan, stabileren Handyempfang, Lademöglichkeiten per Induktion, Videoüberwachung, Radstellplätze und ein modernes Infosystem geben. Besonders stolz ist Werksleiter Leisgang auf die Drehgestellte in Leichtbauweise, die eine ruhigere Fahrt und ungestörten Schlaf ermöglichen sollen. Für barrierefreies Reisen ist der ebenerdige Zustieg möglich, Rollstuhlfahrer bekommen ein großräumiges Abteil und ein angepasstes WC.
Auch der häufige Wunsch nach mehr Privatsphäre wird erfüllt. Die Schlafwagen haben geräumige Abteile für nur noch zwei Personen mit eigenem kleinen Bad. Die Liegewagen sind auf vier Plätze beschränkt, bisher teilen sich bis zu sechs Reisende ein Abteil. Der Clou aber sind die neuen verschließbaren und einzeln klimatisierten Minikabinen in den Liegewagen. Die geräumigen Röhren schützen vor Blicken der Mitreisenden und bieten einen kleinen intimen Raum, in dem es sich auch angelehnt sitzen lässt. Dort kann man es sich mit Leselampe, Klapptisch, Ablageflächen und Kleiderhaken recht gemütlich machen, wenn man den Einstieg in eine der Kabinen geschafft hat. Das Gepäck lässt sich gleich daneben in Fächern verstauen, die per Chipkarte verschließbar sind.
Und wenn in der Minikabine nebenan der Nachwuchs, der Partner oder eine nette neue Bekanntschaft liegt, gibt es sogar in Kopfposition eine kleine Schiebetür für den persönlichen Austausch mit dem Nachbarabteil. Im Werk von Siemens-Mobility hat man informell schon einen Namen für die witzige Neuentwicklung gefunden: die "Gute-Nacht-Kuss-Tür". Von außen sind die speziellen Kabinen künftig durch senkrechte schwarze Balken in den Glasflächen gut erkennen. Und keine Sorge: Natürlich sind die die Kuss-Türen von jeder Seite verriegelbar – und nur zu öffnen, wenn beide es wollen.
Thomas Wüpper