Saudi-Arabien im Spagat zwischen Tradition und Moderne
100 Millionen internationale Besucher will das lange abgeschottete Königreich 2030 anziehen und sich damit von der Abhängigkeit vom Öl befreien. Für Saudi-Arabien bedeutet die von gigantischen Projekten begleitete Öffnung einen Balanceakt.
Vor einigen Wochen sorgte die Meldung für Aufmerksamkeit, dass TUI Cruises geplante Anläufe der Mein Schiff 4 im saudi-arabischen Damman streicht. Hauptursache seien "die restriktiven Regeln des Landes", an denen man trotz intensiver Verhandlungen keine Änderungen erreichen konnte, teilte die Reederei mit. Unter anderem zählte dazu wohl, dass Passagiere während der Liegezeit auch an Bord des Schiffes keinen Alkohol hätten konsumieren dürfen.
In einigen Medien, kurzzeitig auch auf Reise vor9, kursierte zudem die Meldung, dass an Land für Frauen eine Verschleierungspflicht bestehe. Das stimme so nicht, intervenierte das Fremdenverkehrsamt des Landes schnell. Doch wie restriktiv sind die Vorschriften wirklich? Auf der Website von Visit Saudi heißt es: "Männer sollten lange Hosen und Hemden mit Ärmeln tragen. Frauen sollten ebenfalls lange Ärmel sowie lange Röcke oder Hosen in Betracht ziehen. Obwohl traditionelle saudische Kleidung für Gäste nicht obligatorisch ist, sollte enge oder enthüllende Kleidung vermieden werden. Frauen möchten vielleicht auch ein Tuch oder einen Schal mitbringen, um sie über den Kopf zu legen, falls sie planen, eine Moschee zu besuchen."
Entwarnung für weibliche Besucher – mit Einschränkungen
Das Auswärtige Amt schreibt in seinen Sicherheitshinweisen, die bisher bestehenden strengen Kleidungs- und Verhaltensvorschriften nach konservativem wahhabitischen Islamverständnis seien im Zuge der Öffnung des Landes für Touristen neu ausgelegt und durch ein allgemeines Gesetz zur öffentlichen Ordnung ergänzt worden. Das Tragen einer Abbaya (schwarzer Ganzkörperumhang) solle für Frauen keine Pflicht mehr sein. Indes gelte es "auffällige Kleidung und die Zurschaustellung oder gar Verteilung christlich-religiöser Symbole" zu vermeiden. Saudi-Arabien gebe "zurückhaltende Kleidung" auch für ausländische Reisende vor. Das Tragen kurzer Hosen, sofern sie die Knie bedeckten, werde zwar mehr und mehr geduldet, sollte sich aber auf den Freizeitbereich außerhalb der Städte und Malls beschränken. Hautenge und schulterfreie Kleidungsstücke seien im öffentlichen Bereich unerwünscht.
Dabei ist das Tourismusministerium des bis 2019 nur für Geschäftsreisende oder Pilger bereisbaren Landes bemüht, vor allem weiblichen Besuchern ihre Sorgen zu nehmen. "Frauen verschiedener Nationalitäten können in Saudi-Arabien alleine reisen und leben, und ihre Fortbewegung erfordert weder die Erlaubnis von jemandem noch eine Erklärung, warum sie irgendwo sind; es ist in Saudi-Arabien normal, dass Frauen und Männer bis spät in die Nacht alleine unterwegs sind. Es ist nicht nötig, in Gruppen zu bleiben, jeder kann sich privat bewegen und den ganzen Tag über verschiedenen Aktivitäten nachgehen", heißt es auf der Website.
1,6 Millionen Arbeitsplätze als Ziel
Vorbehalte zu beseitigen, ist für die Monarchie nicht nur erstrebenswert – es ist auch zwingend notwendig, um die hochgesteckten Ziele des Landes zu erreichen. So soll der Tourismus bis 2030 rund 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen und für zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes stehen. Der stellvertretende Tourismusminister Mahmoud Abdulhadi sagte der FAZ, die Welt solle Saudi-Arabien "in unserem Land kennenlernen und uns sehen, wie wir sind".
Erste Schritte hat das Land dazu gemacht. Nach Angaben der Welttourismusorganisation kamen 2023 mehr als 27 Millionen Besucher und in den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres 17,5 Millionen. Das seien im Vergleich zu 2019 rund 73 Prozent mehr. Doch die Pläne sind weitaus ambitionierter. Die Attraktionen, die Besucher locken sollen, reichen von Zeugnissen aus der vorislamischen Zeit, etwa im als Weltkulturerbe ausgewiesenen Al-Ula, über die futuristische Stadt Neom im Dreiländereck mit Jordanien und Ägypten und das Ultra-Luxusresort Amaala am Roten Meer bis hin zum Freiluftmuseum Diriyah und den Freizeitpark Qiddiya in der Nähe der Hauptstadt Riad. Hohe Berge, zerklüftete Felsen, bizarre Steinformationen, Oasen und die größte Sandwüste der Welt sowie die Ruinenstadt Rub Al-Khali sollen Natur- und Kulturfreunde locken.
In Riad wurde kürzlich das Projekt eines riesigen Würfels mit einer Kantenlänge von 400 Metern vorgestellt. Im Mukaab Tower soll Platz für 1,4 Millionen Büro-Quadratmeter sein. Hinzu kommen zahlreiche Hotels und Shopping-Malls sowie eine ganze Universität. Auf dem Dach soll ein Garten entstehen.
Fußball-WM 2034?
Auch Sport spielt eine zentrale Rolle in der Strategie – das zeigt schon das Engagement zahlreicher ehemaliger Weltklasse-Fußballer, die nun in dem Wüstenstaat kicken. Autorennen der Formel 1 und der Formel E gibt es auch bereits. Und als ganz großer Wurf ist die Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft 2034 geplant, für die sich Saudi-Arabien im vergangenen Jahr beworben hat. Der Fußball-Weltverband Fifa scheint keine Hindernisse dafür zu sehen.
Keine Frage, dass auch dafür große Pläne gemacht werden. So sollen elf neue Stadien gebaut werden, darunter das King-Salman-Stadion (Foto) in der Nähe von Riad. Es soll Teil eines weitläufigen Sport- und Unterhaltungsareals sein und bis zu 92.000 Zuschauern Platz bieten. Neben der Hauptarena sind ein olympisches Schwimmbecken, Basketball- und Volleyballfelder, Einkaufszentren sowie großzügige Fanzonen geplant. Die begrünte Außenhülle des Stadions soll unter anderem Spazierwege und Erholungsflächen bieten. Ein weiteres Bauvorhaben ist ein Stadion in der Megastadt The Line, das in einer Höhe von 350 Metern errichtet werden soll.
Christian Schmicke