Fußballtourismus heizt Corona-Infektionen in Schottland an
Knapp 2.000 Corona-Fälle in Schottland stehen laut der schottischen Gesundheitsbehörde in Verbindung mit Spielen der Fußball-EM. Zwei Drittel von 1.991 positiv Getesteten seien Fans, die zu Spielen nach London gereist seien, heißt es.
Was im Hinblick auf das Corona-Infektionsgeschehen auf der Hand lag, dafür gibt es nun erste Belege: Volle Stadien an Austragungsorten der Fußball-Europameisterschaft mit starkem Infektionsgeschehen, fehlender Abstand, Missachtung der Maskenpflicht, schreiende, singende und sich im Jubel umarmende Fans brauen sich zu einer infektionsträchtigen Mischung zusammen. Das zeigen die jüngsten Zahlen der Gesundheitsbehörde Public Health Scotland. Am 18. Juni hatten die Schotten in London gegen England gespielt. Knapp 400 Infizierte aus Schottland sollen im Stadion gewesen sein, in der Londoner Innenstadt bevölkerten Tausende weitere Fans Straßen und Plätze. Die Infektionszahlen beziehen sich nach Agenturmeldungen auf positiv Getestete, die während ihrer ansteckenden Phase EM-Spiele oder Fan-Events besucht haben.
38 Fans steckten sich demnach bei der Begegnung der Schotten im heimischen Hampden Park in Glasgow gegen Kroatien an, weitere 37 beim Heimspiel gegen Tschechien. 55 weitere positive Fälle habe es nach beiden Partien bei Besuchern der Fanzone gegeben.
Viel zu volle Stadien
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fuhr gegenüber dem europäischen Fußballverband Uefa schweres Geschütz auf. Er bezog sich dabei auf das Spiel zwischen England und Deutschland, bei dem 41.973 Zuschauer anwesend waren; darunter rund 2.500 Deutsche, die in Großbritannien leben. "Das Spiel hat gestern nochmal gezeigt wie eng die Fans stehen, wie oft sie sich umarmen und anschreien. Es haben sich sicherlich Hunderte infiziert und diese infizieren jetzt wiederum Tausende", schrieb Lauterbach via Twitter, und weiter: "Die UEFA ist für den Tod von vielen Menschen verantwortlich."
Relativ sicher könne man Spiele mit einem Fünftel der Kapazität der jeweiligen Stadien austragen, hatte Lauterbach zuvor gegenüber dem "WDR" erklärt. "Beispielsweise wäre das für das Wembley-Stadion eine Größenordnung von 18.000 Zuschauern", sagte er "WDR 5". "Die Europameisterschaft führt dazu, dass junge Leute, die noch nicht geimpft sind, sich unvorsichtiger verhalten, und das befeuert die Verbreitung der Delta-Variante in Europa." Bei den Halbfinals und dem Endspiel dürfen nach jetzigem Stand über 60.000 Zuschauer in die Londoner Arena. Dabei liegt die Sieben-Tage-Inzidenz im Vereinigten Königreich mittlerweile wieder bei 182.
Wird die EM zum Pandemie-Treiber?
Theoretisch gelten in den Fußballstadien während der Spiele der Europameisterschaft Abstandsregeln und Maskenpflicht. Allerdings verdeutlichen die Bilder aus nahezu allen Austragungsorten, dass sich kaum jemand daran hält. Zwei geplante Austragungsorte, Dublin und Bilbao, hatten sich im Vorfeld des Turniers geweigert, die vom Fußballverband gewünschten Zuschauer zuzulassen. Daraufhin war Dublin von der Liste gestrichen worden und Bilbao wurde durch Sevilla ersetzt.
Sollte sich das Turnier nun gleich an mehreren Orten als Brandbeschleuniger entpuppen und die Ausbreitung der hoch ansteckenden Delta-Variante des Coronavirus schneller vorantreiben als von zahlreichen europäischen Staaten erhofft, würde das wohl nicht ohne Auswirkungen auf das Reisegeschehen bleiben. Denn Deutschland und andere EU-Staaten setzen auf eine möglichst wirksame Verzögerung der Ausbreitung, um mit einer hohen Impfquote gerüstet zu sein, wenn die Delta-Variante auch hierzulande, wie bereits in Großbritannien und Portugal, zur dominanten Form des Virus wird.
Christian Schmicke